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Wenn Engel sprechen.



Elvin auf dem Weg zurück aus dem Herz der Finsternis.

Es gibt Engel. Dieser hier trägt eine orange Daunenjacke der Marke Moncler eine verspiegelte Sonnenbrille sowie zerschlissene Edeljeans. Er heisst Elvin, spricht Deutsch und Serbokroatisch und wir trinken zusammen Kaffee, rauchen Kette und ich erzähle, was für ein Drama ich hier in Belgrad zurzeit erlebe. „Kein Schwanz ist so hart wie das Leben“, fasst mein Engel zusammen. 


Elvin produziert und verkauft Erdbeeren im echten Leben. Wenn er nicht gerade in seinem Nebenjob als Engel tätig ist und im Balkan unterwegs ist. Er ist es sich gewohnt, zu verkaufen, hart zu verhandeln und bei aller Härte fair zu bleiben. Das wird sich später bei Kristina zeigen. 

 


Ich war zuvor am Telefon, sprach Schweizerdeutsch. Meine Frau und ich kämpften seit Tagen gemeinsam, aber 1300 km voneinander entfernt, mit DHL und der serbischen Bürokratie um die Herausgabe meines Autoschlüssels. “Ich höre so gerne euren Dialekt“, sagt der Engel in breitem Kölsch. “Ich helfe dir." 

 


Es sind drei Handgriffe, die sich vertraut anfühlen und stimmen müssen, bevor ich aus dem Haus gehe: das Handy eckig in der Jeans hinten rechts, das Portemonnaie flach in der Jeans hinten links und der Autoschlüssel spitzig in der Jacke. Die Dreifaltigkeit stimmte am Samstag Abend, als ich aus dem Apartment im Hochhaus ging.


Ruhe bewahren und systematisch vorgehen. Reisetasche auspacken, Kamerakoffer zerlegen. Ich fand Staub aus dem Sahel, Staub unter dem Bett der Unterkunft, einen alten Stift, Visitenkarten, Münzen - keinen Schlüssel. 



Dabei wollte ich eigentlich weiterreisen, als sich die Katastrophe abzeichnete und sich die Dreifaltigkeit des Eckigen, Runden und Spitzigen nicht mehr stimmig anfühlte. Aus zwei Nächten in Belgrad wurden sieben, mit schlechten Träumen von grossen Schlüsseln, die mich durch die serbische Hauptstadt jagen.



Am Montag gab meine Frau den Ersatzschlüssel für mein Auto bei DHL in Bern auf. “Express - Excellence. Simply delivered” lautet das vielversprechende Motto der Logistik-Firma, angekündigt war die Sendung in Belgrad auf Mittwoch Abend. 


Bereits am Mittwoch lernte ich Aleksa vom DHL-Service Point kennen. Ab Donnerstag war ich dann auch mit Kristina per Du. Sende einen Zollauftrag! Sende eine „beschreibende Erklärung zum Wert des Pakets“! Gerne auf kyrillisch und mit erhöhtem Verständnis für Bürokratie. “Dear, This document don’t have stamp, please sent me good document with stamp.” 


Besonders kritisch wurde die Situation, als die Aleksa – oder war es Kristina? – eine Aufenthaltsgenehmigung verlangten. Mein Vermieter hätte einen Meldezettel ausfüllen sollen, dies aber unterlassen, weil er die 50 Euro pro Nacht lieber in Cash und ohne Quittung einkassierte hatte. Mein Einreisestempel im Pass erwies sich als unerwartet wertvoll. Eine weitere Prüfung wurde fällig, weil meine Frau den Wert des Schlüssels auf 100 Franken geschätzt hatte – und Güter über 50 Euro verzollt werden müssen. 


Als mir Kristina am Donnerstag dann verkündete, das Paket werde am Montag zugestellt, griff mein persönlicher Engel in schicker Kleidung ein. “ Denen machen wir einen Fackelzug”.



Am Freitag fuhren wir in seinem Transporter die dreissig Kilometer raus aus Belgrad ins Herz der Finsternis zum Service Point von DHL. Offenbar sind wir nicht die Einzigen mit solchen Problemen. Es gibt dort einen Wartesaal mit Kaffeemaschine.


Engeln scheint alles leicht von der Hand zu gehen. Ein vorgängiges Telefongespräch. Dann eine persönliches Wort mit Kristina. Keine Widerrede. Und schon schiebt Kristina das Päckchen über den Tresen. Engel sind auch allwissend. Und so weiss Elvin auch sofort: “Gell, so geil warst du noch nie auf einen Schlüssel.“

Michael Wuertenberg/2024


"So geil warst du noch nie auf einen Schlüssel"



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